Die Wagenknecht-Fiktion oder die gelenkte Implosion einer Opposition
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Lasst uns in 10 Jahren nochmal auf den dann geschehenen Verlauf zurückblicken.
Dies ist keine politische Analyse. Der Text beruht auf einer ganz persönlichen, unbelegten Betrachtung. Das beschriebene Geschehen ist eigentlich fiktional. Die Ereignisse liegen nicht in der fernen Zukunft. Sie schildern vielmehr eine Entwicklung, wie sie in den nächsten zehn Jahren eintreten könnte. Am Ende findet sich eine mögliche, keinesfalls wahrscheinliche Ursachensuche. Die namentlich genannten Personen, Organisationen, Parteien,und Staaten sind unter den hier verwendeten Bezeichnungen Gegenstand der öffentlichen Wahrnehmung.1) Die Voraussetzungen
Lange angekündigt, von den schwachen Regierungsparteien gefürchtet und früh attackiert, von den anderen, den Ungebundenen, die seither keine Wahlalternative sehen, herbeigeredet, herbeigesehnt, kündigt Sahra Wagenknecht also jetzt tatsächlich die Gründung einer eigenen Partei an.
Eine *eigene* Partei? Nun, so wird es landauf, landab erzählt. Was die Partei ausmachen wird, ist völlig unklar. Trotzdem dient sie schon als Drohkulisse. Auf allen Seiten. Die einen hängen ihre Hoffnung : “Endlich wieder Opposition! (egal wie)“ daran, die anderen drohen mit unkalkulierbaren Risiken hinsichtlich des Personals und der politischen Ausrichtung.
Wahrscheinlich ist, dass sich Wagenknecht treu bleiben, eine „sozialistische Richtung“ (vielleicht im Sinne Rosa Luxemburgs) einschlagen wird. Ebenfalls beibehalten wird sie ihre kluge, kritische, unabhängige und oft kompromisslose Art. Sie kann nicht anders. Das wird zunächst zumindest der Wimpel sein, unter dem man fährt. Mittelfristig kann man so natürlich keine Politik machen. Man will und muss ja gestalten, also Kompromisse eingehen, vor allem auch mit den „persönlichen Gegnern“. Einen Zusammenschluss, eine Koalition oder eine Abstimmungsgemeinschaft mit der AfD wird es nicht geben. Allenfalls eine Linie, unabhängig, also gemäß eigener Werte, zu stimmen und da wird es automatisch auch Abstimmungen, Richtungen geben, die die AfD in gleicher oder ähnlicher Weise vertritt. Das wäre allerdings schon eine grundlegende Neuerung. Die Inkaufnahme, mit den personae non gratae gleiche Ansichten, zumindest in kleinsten Bereichen politischer Positionen, zu vertreten.
Am ehesten wird also eine „Neue Linke“ entstehen. Eine Linke, die zu ursprünglichen Werten zurückkehrt, sich unabhängig und unbequem macht. Eine Linke auch, die sich nicht scheut, verpönte Positionen zu kritischen Themen einzunehmen, wie Wirtschafts- und Klimapolitik (Unternehmensförderung, Heizungsgesetze, Energiepolitik), Zuwanderung, Integration, Verteidigungspolitik (Positionierung gegenüber heißen Konflikten (Ukrainekrieg)), Außenpolitik, Neuausrichtung internationaler Beziehungen, etc..
2) Parteipraxis
a) Personal
Wie wird diese „Neue Linke“ aber mit Personal gefüllt? Eine Partei braucht Gesichter, nicht nur eine einzelne Leitfigur. Eine neue Partei braucht sofort ein Wählerpotenzial, zumindest gesellschaftliche Zielgruppen, aus denen man Stimmen rekrutieren kann.
Was das Personal anbetrifft, so wird es Überraschungen, unerwartete Personalien geben müssen, Gesichter, die bereits in der Öffentlichkeit bekannt, aber nicht „verbrannt“, also nicht mit politikfremden Inhalten verknüpft sind. „Weggefährten“ aus „Die Linke“? Möglich, aber riskant. Viele der Genossen haben sich in den letzten Monaten durch Anbiederung ans Establishment erheblich geschadet. Andere sind viel zu sehr in die Opposition zu Wagenknecht’ schem Politikverständnis gegangen, würden mit „Brutus-Image“ antreten. Also Vertreter aus der Zivilgesellschaft? Alice Schwarzer oder ähnliche Vertreter gesellschaftlicher Strömungen, weniger der Politik, die sich bisher mit der Positionierung zu vielen explosiven Themen zurückgehalten haben? Möglich, aber für die Gründung und Dynamisierung einer Bewegung nur sehr vage zweckdienlich.
Mit „Die Linke“ wird es also wenige personelle und inhaltliche Übereinstimmung geben. Dieses Band ist zerschnitten, zumal sich „Die Linke“ aktuell sowieso zerlegt und aus den Parlamenten katapultiert. Das Altpersonal der Linken, das noch einen Rest Glaubwürdigkeit besitzt, wird man nicht mehr einsetzen können. Oskar Lafontaine in Funktion will sicher niemand mehr sehen.
Welche Koalitionen wären zur Gewinnung politischen Gewichts möglich? Keine. Da wäre ein weiteres Schmuddelkind der Einheitspolitik angetreten, mit dem keiner spielen will. Vielleicht, allerdings, würde die Abscheu bei den jeweiligen Regierungsparteien in Bund und Land nicht so abgrundtief sein, wie gegenüber der AfD. Vielleicht wäre es möglich, die Stimmen bei gemeinsamen Themen und bei der Wahl von Funktionen in den gleichen Topf zu werfen.
b) Wähler
Die Wähler wird man sicher in den Reihen derjenigen finden, die seit 2000 auf die Zähne beißen. Und nur unter Brechattacken ihre alte Liebe wählen, oder bei denen, die keine saubere Alternative sehen und deshalb eben die einzige Alternative gewählt haben, die noch oppositionelle Töne anschlägt, oder schließlich bei den Nichtwählern, zumindest bei denen, die noch im Ansatz von der Werthaltigkeit von Wahlen als Form der demokratischen Meinungsäußerung ausgehen.
Themen, die Ihnen Wähler zutreiben, gibt es haufenweise:
- Vernetzungen (eigentlich Verstrickung) mit internationalen Organisationen, seien Sie politische Zusammenschlüsse oder Nichtregierungsorganisationen (NRO)
- Bündnispolitik, Globalisierungs- und Welthandelspolitik
- Wirtschaftsförderung und Arbeitsmarktpolitik
- Energie-, Klima- und Infrastrukturpolitik
- Migrationspolitik, Integrationsstrategien
- Innen- und Verfassungspolitik (inkl. Presserecht und Gesetzgebung zu digitalen Medien)
- Reform innerstaatlicher Einrichtungen und Gewalten (Exekutive, Legislative und Judikative)
- Sicherheits-, Verteidigungs- und Kriegspolitik
- Sozialpolitik (Arbeitslosen-, Renten-, Armen-, Gesundheitspolitik)
Obgleich also eigentlich kein politisches Feld von einiger Bedeutung derzeit ohne Konfliktpotenzial ist, scheint innerhalb der aktuellen Regierungsparteien und – erstaunlicherweise – innerhalb der sogenannten Opposition besonders in den Feldern mit Spaltungsgewalt breite Einigkeit zu herrschen. Kaum wirklich harte Auseinandersetzung, kaum eine Diskussion, in der zu Streit-Platituden nicht schnell eine friedensstiftende Übereinkunft getroffen werden könnte. Das Schlachtfeld der politischen Auseinandersetzung ist dicht an dicht vermint und da ist kaum einer, der es frech wagt, eine Explosion auszulösen.
Diese Rolle wird bei einem erfolgreichen Auftreten dieser Wagenknecht-Partei zwei Vertretern des politischen Spektrums überlassen werden. Der AfD, die diese Funktion bisher trotz massiver, nicht immer fairer Gegenwehr recht erfolgreich, aber eben allein ausgefüllt hat. Und eben dieser neuen Partei, deren ikonisches Gesicht wahrscheinlich auch für das politische Bild, für die Positionen stehen wird.
c) Wählerwanderung
Wie wird nun wohl die Wählerwanderung aussehen?
Umworben werden die Nichtwähler, die Protestwähler, die Bewusstwähler und die Stammwähler mit unterschiedlicher Farbansage.
Nichtwähler haben sich bisher verweigert, weil sie keinen demokratischen Einfluss im Wahlprozess gesehen haben, sich mit keiner Position einer bestehenden Partei identifizieren konnten, zu bequem für den Urnengang waren, oder einfach nur rundum zufrieden, mit dem, was die Anderen wählten.
*Protestwähler* kannten aufgrund des weitgehenden etablierten Einheitsbreis nur eine Richtung. Sie wählten die AfD. Auch dann, wenn sie mit den Positionen und dem Wahlprogramm, oder auch mit dem Personal nicht einverstanden waren. Primäres Ziel war die Verunsicherung der „Platzhirsche“.
*Stammwähler* sind nur schwer zu bewegen. Die letzten Jahre zeigen, dass die Stimme selbst bei einer totalen Umkehr der politischen Richtung der bevorzugten Partei nach wie vor im gleichen Kringel gekreuzt wird. Auch dann, wenn Frieden plötzlich Krieg, oder Atomkraft plötzlich „Saubere Energie“ war. Die Abgänger werden sich mit den Zuläufern wahrscheinlich die Waage halten.
Und dann gibt es da noch die Gruppe der politischen, bewussten Wähler, die sich die Wahl nicht leicht machen, die ein Wahlprogramm lesen und mit der aktuellen Politik und vorgetragenen Positionen abgleichen. Die Wähler, deren Stimme mitsamt dem Vertrauen bei einigermaßen bewiesener Glaubwürdigkeit vergeben wird. Hier ist Wechselpotenzial.
Es wird also MIT Wagenknecht so sein:
- Wagenknecht hat keine Stimmen abzugeben, also nichts zu verlieren.
- Nichtwähler sehen jetzt eine echte Alternative mit ihren Inhalten, die Akzeptanz genießen könnte. Sie wählen Wagenknecht.
- Protestwähler, die bisher strategisch wählten, sehen eine neue Alternative, die ihrer politischen Identifikation eher entspricht. Sie wählen Wagenknecht.
- Stammwähler der Linken werden in größerer Zahl mit Wagenknecht ziehen. Die Linke verpufft.
- Stammwähler der anderen Parteien, die mit der in der Tat kontrovers diskutablen Politik ihrer bisherigen Favoriten nicht einverstanden sind, sehen eine Wechseloption. Das trifft weniger auf die Wähler konservativer Vereinigungen zu, die bleiben misstrauisch gegenüber Wagenknecht
- Die Bewusstwähler werden in größerer Zahl Wagenknecht zufließen, allerdings gibt es von ihnen nicht die erwarteten Massen.
- CDU/CSU mit soliden Gewinnen
- SPD mit sehr herben Verlusten
- Grüne mit moderaten aber schmerzlichen Verlusten
- FDP wird bedeutungslos
- Die Linke implodiert
- AfD rutscht auf unter 10 Prozent (7-8%)
- Wagenknecht wird einen furiosen Einstieg feiern (über 10 Prozent (8-12%))
Die parlamentarische Arbeit, das Erscheinungsbild parlamentarischer Diskussion, das parlamentarische Klima wird ein anderes werden.
3) Nach der Wahl – die nächste Legislatur
Die verbliebene Opposition wird vermutlich wesentlich aus Wagenknecht und der AfD bestehen. Die Koalitionäre der Regierung müssen sich nicht großartig um Übereinstimmungen bemühen, die bestehen in den kritischen Feldern jetzt bereits. Über den Kleinkram wird man sich schon einigen. Ein schwieriger Punkt wird die Wirtschaftspolitik sein, aber da wird man sich schon einig werden, wenn die Grünen die Kernkraft in die Verhandlungsmasse einbringen.
Mit den ca 20 Prozent Stimmanteil bleibt die verbliebene, uneinige Opposition ohne Bedeutung. Gegenüber der aktuellen Situation ändert sich nicht viel. Bei Ablehnungen wird man vergleichbare Stimmanteile gewinnen wie derzeit, durchsetzen wird man mangels Zielverträglichkeit noch weniger, als aktuell schon.
Dem Wahlvolk wird auffallen, dass die Wagenknechtpartei eigentlich nur aus Wagenknecht besteht. Das neue Personal ist Füllmaterial, das Wagenknecht’ sche Positionen beklatscht. Auch öffentlich, medial wird dieser Eindruck entstehen. Wagenknecht ist zu speziell, zu geradlinig und zu schlau, um andere Sterne neben sich leuchten lassen zu können. In Aussicht ist sowieso noch NICHTS.
Das führt zu massiven Zustimmungsverlusten, weil man zwar Wagenknecht mag, aber bei ihr keine Garantie für die Zukunft, für Kontinuität erkennt. Innerhalb von höchstens 3 Jahren rutscht Wagenknecht in den Wählerbefragungen unter die parlamentarischen Hürden. Bei der nächsten Wahl ist die Partei raus.
5) Warum? Was sind die Hintergründe dieses Geschehens?
Bleibt die Frage, warum die Pgründung einer „Wagenknechtpartei“ durch politische Gegner und Bedenkenträger herbeigeredet und von den ewig Hoffnungsvollen herbeigesehnt wurde. Letztlich hat ja Wagenknecht wider bessere Einsicht und gepusht durch die Öffentlichkeit die Parteigründung am Ende tatsächlich in Angriff genommen.
Die Antwort klingt schon wieder wie Verschwörung, ist aber nichts anderes als politische Strategie.
Die AfD hat in der laufenden Legislaturperiode sehr beachtliche Fortschritte gemacht. Sie hat stetig steigenden Zulauf, besetzt bereits erste Positionen in der Kommunalpolitik und verliert so den Schmuddelkindcharakter. Das senkt die Hürde beim Wahlvolk: Wählt bloß keine „Rechtsextremen“. Sie sind damit nicht unbedingt gesellschaftsfähig, weil es nach wie vor eine massive Diskreditierungsoffensive gibt. Aber mit steigenden Wählerzahlen verändern sich auch die Kraftverhältnisse. Womöglich wird man nichtmehr umhin können, die ein oder andere Abstimmung mithilfe der AfD zu gewinnen.
Mit dem Zulassen einer zusätzlichen wirksamen oppositionellen Macht wächst die parlamentarische Gegenwehr gegenüber strittigen Durchsetzungsvorhaben. Man wird die ein oder andere Abstimmung wohl verloren geben, opfern müssen. Insgesamt spaltet man aber das oppositionelle Lager sehr wirksam. Wagenknecht wird eine strategische Übereinkunft mit der AfD bezüglich politischer Ziele und Abstimmungen vermeiden. Dafür spricht einfach die inhaltliche Ferne der Wahlprogramme und die zu erwartende öffentliche Reaktion bei Kollaboration.
Es ist also folgendes erreicht: Zwar hat eine regierende Koalition nun zwei Gegner im parlamentarischen Kampf. Man hat aber das *politische Gewicht* der Kombattanten etwa halbiert, da sie unterschiedlichen Wählergruppen dienen müssen und ganz klar auch wollen. So kann man wechselseitig die ein oder andere Gruppierung zur Zustimmung zu Vorhaben bewegen und sie als Gelegenheitskoalitionäre missbrauchen. Damit sind deutlich mehr Vorhaben durchsetzbar als wenn man nur einen soliden Gegner mit vergleichbarer Kraft hätte.
In der nächsten Phase wird – verursacht durch die konstitutionelle Schwäche und das Alter Wagenknechts – der Leuchtturm die Partei und die Politik verlassen. Dadurch fällt das „Konstrukt Wagenknechtpartei“ in sich zusammen. Die Fraktion zerstreitet sich parlamentarisch, es wird Austritte und Wechsel geben, die Partei zerfällt.
Infolgedessen werden sich die Wähler, die in der Urzeit eine Wählerwanderung zur AfD aus Wut mitgegangen sind, ihren alten Platz im „bürgerlichen Lager“ (sie nennen sich selbst links) wieder einnehmen und klassisch wählen. Das führt zu weiteren drastischen Stimmverlusten bei der AfD, weil sie mit der bescheidenen parlamentarischen Potenz auch nicht mehr überzeugen konnte. Die AfD scheidet aus immer mehr Parlamenten aus und behält allenfalls geringfügige Bedeutung im provinziellen Rahmen. Dann wird auch sie verschwinden.
Die Säuberung ist gelungen. Die Ununterscheidbaren machen jetzt mit weitgehend übereinstimmenden Programmen, an die sie sich sowieso nicht halten, … was sie wollen.